Münchner Flughafen, Montagmorgen 5 Uhr 55. Red eye flight nach Köln. Eine Versammlung bleichgesichtiger Aktentaschenträger vor dem Gate. Eine Horde Krähen auf herbstlichem Feld ist eine Kirmesveranstaltung dagegen. Versteinerte Gesichter, hängende Lider, das kollektive Mantra drückt auf Nacken und Schultern: „Die Pflicht ruft!“
Einmal Frust-Duschen für alle!
Ein Passagier gehört offenbar nicht zu dieser leidgeprüften Schar. Mit starkem spanischem Akzent und leicht irritiert versucht er die Uniformierte am Schalter zur Erteilung einer Auskunft zu bewegen. Die wimmelt ihn mürrisch ab. „Sie sehen doch, dass ich hier mit dem Einsteigen beginne!“ Sie lässt ihn stehen und beschäftigt sich genervt mit der Aktivierung der elektronischen Schleuse. Einmal Frust-Duschen für alle! Wunderbar.
Mein Gott, dachte ich. Und meine grauen Zellen begannen herzhaft zu funken, es wurde auch Zeit. Da leben wir in einem der reichsten Länder der Welt. Wir sind rundumvollversichert für und gegen das Leben. Die Müllabfuhr funktioniert mit digitaler Spiegelung im Internet, wer Zug fährt, wird nicht überfallen, wer krank wird, bekommt Hightech-Medizin, und wer sich bilden will, kann das gratis und auf höchstem Niveau. Polizei und Behörden verfolgen Korruption, anstatt selbst bestechlich zu sein, und das alles wird uns Bundesbürgern serviert auf einem Tablett, auf dem der wichtigste Wert der Menschheit zu lesen steht, per Grundgesetz hinein graviert: FREIHEIT!
Was wir ham, das ham wir
Doch der Mensch ist eine Spezies, die unterscheidet sich von allen anderen Arten, und das ist fatal. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Keine andere Art der Welt kann sich das leisten, ohne unterzugehen. Was wir ham, das ham wir. Das ist als selbstverständlich anzusehen. Da ham wir sozusagen einen Anspruch drauf. Und den fordern wir ein. Das klingt nicht nur anmaßend und humorlos – das ist es auch. Und so stand ich da, an diesem Montag um mittlerweile 6 Uhr 05 am Gate des Köln-Flugs und wurde mir meiner philosophischen Höhenflüge uhrzeitgemäß nur schleppend bewusst.
Aber dann kam sie doch, die Erkenntnis. Die nicht wirklich neu ist, aber wie alles, was Wert hat, immer wieder neu erworben werden muss. Wer sich das anspruchsvolle Ziel setzt, das zu genießen und wertzuschätzen, was ihm höchst privilegiert in die Wiege gelegt worden ist – nämlich in diesem unserem großartigen Lande geboren zu sein, auf diesem herrlichen Kontinent mit seiner phänomenalen Tradition, mit seinem Reichtum und seiner Kultur.... Der hat zwei schlichte Möglichkeiten, sich diesem Privileg erkenntlich zu zeigen. Die heißen Demut und Dankbarkeit.
Glücksbringer ohne Verfallsdatum
Die beiden habe ich übrigens vor einiger Zeit als enorm effiziente Glücksbringer für mein Dasein entdeckt. Obwohl sie dem bleiernen Setzkasten der Druckmaschinen von gestern zu entstammen scheinen. Doch ich finde – da bin ich nun wirklich nicht allein: Sie haben kein Verfallsdatum. Ich wage sogar zu behaupten: Sie gelten ewig. Und tragisch für eine Gesellschaft, wenn sie deren Wert nicht mehr zu empfinden weiß.
Was wäre denn die Folge – so philosophierten nun meine grauen Zellen herzhaft weiter – wenn wir Demut und Dankbarkeit, diese beiden, einfach mal als Guideline in unser Alltagsverhalten einbauen würden? Was wäre dann anders gewesen, an diesem Montagmorgen, um 5 Uhr 55, am Gate 21, Flughafen Franz Josef Strauß?
Tickets ins Paradies
Wir wären alle, die wir da standen, genauso hundemüde gewesen. Wir hätten die Aufgaben, die vor uns lagen, genauso als – sagen wir – anspruchsvolle Aufgaben gesehen. Doch wir hätten vielleicht eines getan, gewissermaßen als Verbündete, als Genießer der Gewissheit, dass wir Inhaber sind eines Tickets hin und zurück ins Paradies... wir hätten uns angelächelt. Wir hätten uns respektvolle Freundlichkeit gezeigt. Wir hätten die Kraft dafür gefunden aus der gemeinsamen Gewissheit, wie wahnsinnig gut es uns geht. Wir hätten uns als gemeinsamen kleinsten Nenner unmerklich die Wertschätzung signalisiert, in welchem Reichtum wir leben. Nicht nur materiell, sondern auch an gesellschaftlichen Werten.
Naja. Und dann stand da die Purserette beim Boarding, mit Schal und gefrierenden Atemwölkchen davor. Mit einem herzlichen, gewinnenden Lächeln, das jeden Anflug von Antrainiertheit Lügen strafte. Sie strahlte einfach. Vielleicht, weil das Leben so schön ist und sie Dankbarkeit und Demut dafür empfand. Vielleicht auch, weil das Lächeln ihr Job ist. Aber bitte mit Herz. Auf jeden Fall ist das Lächeln die stabilste Währung der Welt. Die kennt keine Schuldenbremse und keinen Rettungsfonds. Der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln, sagt der Dalai Lama. Verschwenden Sie diese Währung. Sie werden dabei garantiert nicht verarmen.
Lächeln Sie das Leben an! Vielleicht lächelt es wieder zurück.
Nina Ruge
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