Architektur wiegt schwer. Gebäude wiegen Tonnen. Es kostet Unmengen von Material, Geld und Zeit, sie zu errichten. Wind und Wetter peitschen auf sie ein, Frost und Schnee sprengen das Gestein. Architektur hat eigentlich wenig mit Leichtigkeit zu tun. Doch es gibt seltene Momente in der Architekturgeschichte, da umgibt ein Gebäude eine schwerelose Leichtigkeit, eine sorglose Heiterkeit, und alles scheint der eigenen Last zu entfliehen. Dieser Phase des leichten Rokoko verdankt München einige Meisterwerke, Perlen vom Rang eines Weltkulturerbes. Ihr Entwerfer, Designer und Architekt: François de Cuvilliés der Ältere.
François de Cuvilliés: als Hofzwerg bei Maximilian II.
François de Cuvilliés der Ältere begann seine Karriere als so genannter Hofzwerg am Hof des bayerischen Kurfürsten Maximilian II. Emanuel zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Hofzwerge nannte man kleinwüchsige Menschen, die in angesehenen Stellungen wie Kammerdiener, Page oder Sekretär am Hof tätig waren. Damals fand man das schick. Diese Eigenart entstammte wohl den Kuriositäten-Sammlungen der Spätrenaissance. Kennengelernt hatten sich der Kurfürst und der damals elfjährige Cuvilliés in den spanischen Niederlanden, der Heimat des späteren Baumeisters, dem heutigen Belgien. Am Münchner Hof und unter den Fittichen des Kurfürsten stieg Cuvilliés schnell auf zum Zeichner und erhielt eine Ausbildung zum Ingenieur. Damit nicht genug, der Kurfürst schickte ihn im Jahr 1720 für vier Jahre nach Paris, um dort die Baukunst zu erlernen. Frankreich und der französische Hof von Versailles dominierten damals das Leben des europäischen Adels. Alle, auch der bayerische Kurfürst, eiferten dem französischen Hof nach, in Sachen Mode, Etikette, Feiern und der Architektur. Ja, selbst die französische Sprache hielt Einzug an den Höfen Europas, und so sprach auch Cuvilliés Zeit seines Lebens in seiner Muttersprache.
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In Paris machte sich Cuvilliés vertraut mit dem dominierenden Stil der damaligen Zeit, dem Rokoko. Der Begriff stammt eigentlich aus dem späten 19. Jahrhundert. Abgeleitet ist er von der Rocailles, dem muschelförmigen Ornament mit Ranken und Blattwerk, dem dominierenden Gestaltungselement jener Zeit. Beim Rokoko handelt es sich vor allem um einen Dekorationsstil, der sich in der Innenausstattung und im Kunstgewerbe entfaltete. Das Rokoko brachte keine eigene Architektursprache hervor. Was die reine Architektur angeht, baute man damals nach wie vor Barock. In Paris lernte Cuvilliés ein wichtiges Prinzip der damaligen Baukunst kennen: die Convenance, die Angemessenheit. Es galt als modern, die Funktion und den Rang des Besitzers am Schmuck und an der Form des Gebäudes abzulesen. Ein Graf durfte nicht so aufwendig bauen wie ein Kurfürst, selbst wenn er das Geld dafür besaß.
Reiche Zimmer in der Residenz
Als Kurfürst Max Emanuel im Jahr 1726 starb, folgte ihm sein Sohn Kurfürst Karl Albrecht auf den bayerischen Thron. Unter Karl Albrecht machte Cuvilliés einen großen Karrieresprung. Er wurde dem obersten Baumeister, dem berühmten Joseph Effner, gleichgestellt. Kurfürst Karl Albrecht trieben große Ambitionen an. Er wollte zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt werden. Als erstes mussten für Karl Albrecht reich ausgeschmückte Räume in der Münchner Residenz eingerichtet werden, schließlich galt es den Anspruch an die Kaiserkrone zu zeigen. Also inszenierte Cuvilliés den Luxus und die Pracht. Es gibt nichts Vergleichbares, weder in Wien beim damaligen Kaiser oder irgendeinem anderen Fürstenhof in Deutschland. Die adeligen Besucher konnten durch eine Enfilade (zu Deutsch: Zimmerflucht) schreiten. Die Idee stammte aus Frankreich. Jeder Raum bildete für sich eine thematische und künstlerische Einheit, mit einem besonderen Blickfang im Zentrum: einem kostbar verzierten Kamin oder einer Sammlung aus erlesenem Porzellan. Von Zimmer zu Zimmer wurden Aufwand und Dekor gesteigert, um dann im Paradezimmer ihren Höhepunkt zu finden. Die Reichen Zimmer wurden wie fast die gesamte Residenz im Krieg zerstört und nach dem Krieg mit einigen erhaltenen originalen Teilen rekonstruiert.
Die Amalienburg im Nymphenburger Park
Wer schon einmal im Nymphenburger Park spazieren war, der kennt wahrscheinlich ein weiteres Hauptwerk Cuvilliés, ein echtes Meisterwerk. Versteckt auf einer Lichtung liegt das kleine Schlösschen, die Amalienburg. Namensgeberin war Maria Amalie, die Ehefrau von Kurfürst Karl Albrecht. Die Kurfürstin jagte für ihr Leben gern, und so ließ ihr Karl Albrecht 1734 ein kleines Jagdschlösschen errichten. Im Inneren der Amalienburg wartet ein echter Höhepunkt, ein kreisrunder Spiegelsaal. Durch zahllose Spiegel spiegelt sich der Garten und wird so in den Raum geholt. Bei geöffneten Türen verschmelzen Äußeres und Inneres. Über den Fenstern und Spiegeln thronen Figuren nach Themen der Jagd, in einer Mischung aus Gegenständlichem und Ornamenten. Gestaltet hat sie der Stuckateur Johann Baptist Zimmermann. Alles in dem Raum strahlt in einem leichten Blau und Silber. Das höfische Rokoko wollte sich mit seinen eleganten leichten Tönen vom Barock abheben. Im Barock herrschten noch schwere Kombinationen etwa aus Gold und Rot vor. Die Amalienburg blieb völlig unzerstört erhalten, bis auf den ursprünglichen Barockgarten um das Schlösschen. Der wurde im 19. Jahrhundert in einen Landschaftsgarten umgewandelt, und so liegt die Amalienburg heute wie ein Hexenhäuschen ganz versteckt hinter Bäumen.
Das Cuvilliés-Theater
Mit dem nach ihm benannten Cuvilliés-Theater, dem alten Residenztheater, schuf Cuvilliés eines der schönsten Opernhäuser des Rokoko. Das originale Gebäude ist leider nicht mehr erhalten. Während des zweiten Weltkriegs wurde es in weiten Teilen zerstört. Nur die Dekoration des Zuschauerraums blieb erhalten. Man nahm sie im Krieg vorsichtig ab und lagerte sie an einem sicheren Ort. Später baute man das Theater im so genannten Apothekertrakt der Residenz wieder auf. Am originalen Platz des ursprünglichen Cuvilliés-Theaters befindet sich heute das Residenztheater. Mit dem Cuvilliés-Theater und vor allem mit seiner Dekoration schuf Cuvilliés ein kleines Schmuckkästchen. Die unterschiedlich üppige Dekoration an den Rängen spiegelt die höfische Gesellschaftsordnung des 18. Jahrhunderts wieder, denn die Zuschauerränge waren dem Stand in der Adelshierarchie zugeordnet. Den größten Platz und die größte Loge im Theater bekam natürlich der Kurfürst. Seine Loge bildet das eigentliche Zentrum des Theaters. Nicht die Bühne war für die Zuschauer wichtig, sondern der Kurfürst und seine hohen Besucher. Darum wurde während der Aufführungen der Zuschauerraum nicht wie heute verdunkelt, sondern er blieb ebenso hell wie die Bühne. Das ermöglichte das Plaudern, Flirten und Kartenspielen der höfischen Gesellschaft während der Aufführung. Auch für die kostbare Garderobe der edlen Herren und Damen brauchte man den angemessenen Raum. Darum brannten im Cuvilliés-Theater 1341 Wachskerzen. Eine Wachskerze war damals etwas sehr Kostbareres: Sie machte etwa einen Arbeiter-Wochenlohn aus. Das kostbare Licht ließ nicht nur die edel gewandeten Adeligen heller erstrahlen, sondern auch die wunderschöne Innenausstattung von Cuvilliés.
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Nach dem Tod Cuvilliés geriet in ganz Europa nicht nur das Rokoko aus der Mode, sondern auch die Wertschätzung für diese Stilepoche. Im 19. Jahrhundert verspürte der Münchner Hofarchitekt Leo von Klenze einen so großen Hass auf den Rokoko des vorhergehenden Jahrhunderts und auf das Werk von François de Cuvilliés, dass er alle originalen Zeichnungen und Pläne Cuvilliés mit einem großen Planwagen vor die Tore Münchens fahren ließ, um sie dort zu verbrennen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts begann man die Rokoko-Architektur wieder zu schätzen. Die Begeisterung und Bewunderung für François de Cuvilliés den Älteren und seine eleganten Werke ist bis heute ungebrochen. Es geschieht einfach zu selten, dass einen Baukunst vor Freude lächeln lässt.
Daniel Lautenbacher