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Wir wollen alles, nur keine Verantwortung

Moderatorin Nina Ruge schreibt exklusiv für onesprime.de über den Wahnsinn hinter den Fleisch-Kampfpreisen.

„Ein Leben ohne Mops ist möglich – aber es lohnt sich nicht.“ Zehn Millionen Deutsche leben mit Hund – und lieben Vicco von Bülow samt Mops, Gott hab‘ sie selig. Wir lieben unsere Katzen, Meerschweinchen, Kaninchen – wir lieben unsere Wellensittiche und Landschildkröten. Wir lieben sie alle so sehr, dass wir im letzten Jahr knapp 3,4 Milliarden Euro ausgegeben haben, um unsere Schnuckelchen glücklich zu machen: 3,4 Milliarden Euro für Heimtierfutter. Und dann kommen ja weitere Milliarden für Spielzeug, Körbchen, Tierzeitschriften und Tierarztbesuche dazu. Ja, wir lassen sie uns echt was kosten, unsere Schätzchen mit vier Beinchen oder Schnäbelchen! Ja, und wenn die lieben Kleinen dann ihren Napf geleert haben, dann setzen wir uns zu Tisch und genießen selbst das Abendbrot. Sie sollen’s ja nicht schlechter haben als wir Großen, nicht wahr? Eine 200-Gramm-Dose edles „Wild mit Dinkel und Gemüse“ für Hunde kostet 1,69 Euro. 200 Gramm „Delikatess Koch-Hinterschinken“ gibt’s beim Discounter für 99 Cent. Moment mal. Hundefutter fast doppelt so teuer wie Menschen-Futter?

Was passiert, damit wir für Cent-Beträge Fleisch bekommen?

Dabei wissen wir doch, dass gutes Hundefutter vor allem Schlachtabfälle enthalten muss. Weil Innereien, Sehnen, Knorpel für die vollwertige Ernährung unverzichtbar sind. Also sind Schlachtabfälle vom Wild in der Dose fast doppelt so teuer wie Delikatess-Hinterschinken für den Menschen-Magen: Ja, geht’s noch? Nein, das geht nicht. Und deshalb will ja auch kein Mensch wissen, welcher Wahnsinn hinter Kampfpreisen wie diesen steckt. Denn wüssten wir’s – dann wären wir Täter. Dann müssten wir uns verantwortlich fühlen, was täglich millionenfach passiert, damit wir für Cent-Beträge Großpackungen an Fleisch, Fisch, Eiern und Milchprodukten nach Hause wuchten können. Wir schließen geflissentlich die Augen – und öffnen sie erst, wenn das Hühnerfrikassee auf dem Teller dampft.

Die Preise sind systematische Tierquälerei

Hähnchen-Minuten-Schnitzel! 400 Gramm 2,79 Euro! Jeder, der bis zehn zählen kann, MUSS wissen, dass solche Preise nichts anderes bedeuten als systematische Tierquälerei. Reines Hühner-Muskelfleisch ohne Knochen, 400 Gramm für 2 Euro 79: Natürlich ist das industrielle Tierproduktion! Deshalb bin ich für einen Supermarkt-Führerschein! Nur, wer den in der Tasche hat, darf rein. Jeder Prüfling müsste zum Beispiel eine Hühnerfabrik besichtigen. Er oder sie müsste betrachten, wie sich tausende Hennen aus Platznot gegenseitig das Gefieder vom Körper hacken. Er oder sie müsste sehr genau anschauen, wie tausende Hennen getötet, geschichtet, mechanisch entfedert und zerstückelt werden. Von Antibiotikagaben und Futtermittelskandalen mal ganz zu schweigen. Wir müssten erfahren: DAS geschieht, wenn wir 400 Gramm Hühnerschnitzel für 2 Euro 79 haben wollen.

Der Prüfling müsste an einer Führung teilnehmen durch eine der Tönnies-Schweinefleischfabriken. Und mindestens einem der 16 Millionen Tiere, die dort jedes Jahr getötet werden, in seiner letzten Lebenssekunde in die Augen schauen. Er müsste recherchieren, wann ein Bio-Ei ein Bio-Ei sein darf. Nämlich dann, wenn seine Henne vier Quadratmeter Auslauf hat. Diese vier Quadratmeter gilt es zu inspizieren – und dann zu berechnen, wie es möglich sein kann, 10 Bio-Eier für 2,59 Euro zu produzieren.

670 Schweine quieken um ihr Leben

Schweine

Der Prüfling müsste auch unterscheiden lernen: Zwischen Pferd und Rind. Pferde sind wunderbare Tiere – und Rinder sind es auch. Er müsste erleben, wie Pferde in Rumänien gehalten und getötet werden. Aber er müsste auch erleben, wie verzweifelt heimische Kälbchen schreien, wenn sie ihrer Mutter entrissen - und dann geschlachtet werden. Ihn wird es dann kaum noch interessieren, welches tote Tier in der Tiefkühl-Lasagne gelandet ist. Er wird sich eingestehen müssen, dass es die Tiere sind, die den Preis bezahlen für die Rabattschlachten auf unserem Lebensmittelmarkt. Er wird entscheiden müssen, ob er es wirklich kaufen will, das gequälte Tier. Absurdität pur.

Eine Prüfungsfrage für den Supermarkt-Führerschein könnte nun lauten: Wie schafft es ein Fleischproduzent, 200 Gramm Hinterschinken für 99 Cent anzubieten? Die richtige Antwort: Dafür werden zum Beispiel 670 Jungschweine in EINEM LKW quer durch Europa gekarrt. Wie passen aber 670 Schweine in einen LKW? Ganz einfach: Auf vier Stockwerken und so eng gedrängt, dass sich manche auf dem Transport schon mal die Beine brechen. Sie rollen von Padborg in Dänemark zur Mast nach Italien, in die Region Udine. Was „Mast“ dort bedeutet, das beschreibt der Prüfling dann bitte auch. 24 Stunden Transport ohne Pause sind erlaubt. Blöd, wenn so ein Laster dann umkippt, wie unlängst an der Raststätte Vaterstetten geschehen. Weil sie so eng gepfercht sind, werden allein durch’s Kippen hunderte Tiere durch das Gewicht der anderen verletzt, erdrückt, erstickt. Weil es draußen minus acht Grad hat und nachts kein Ersatztransporter für Vieh aufgetrieben werden kann, entscheidet der Amtstierarzt morgens um drei: alle umbringen. Alle 670 jungen Schweine. Sie müssen grauenhaft geschrien haben. Um ihr Leben gequiekt. Es half ihnen nichts. Sie wurden getötet und vernichtet.

Zurück zur Ernährung der Demut

Sinnbild einer grausamen, verrohten Gesellschaft, die nur eins will: ihren Hinterschinken für 99 Cent. Damit das Hundefutter für 1,69 noch drin ist im Haushaltsgeld. Mich macht das wahnsinnig. Was gebietet uns der Respekt vor dem Leben, vor der Natur? Gemüsesuppe! Vollkornbrot! Kräuterquark!

Lasst uns zurückkehren zu einer Ernährung der Demut. Selten Fleisch. Selten Fisch. Und wenn, dann Tiere aus artgerechter Haltung und Fische der Arten, die nicht kurz vor der Ausrottung stehen. Lasst uns zurückkehren zu einfachen Gerichten. Mit Zutaten der Sorte „regional“ und „saisonal“. Das ist nichts Neues! Die Bio-Kiste vom Bauern im Umland ist schon seit Jahren hip. Ich persönlich möchte nichts mehr essen, was Augen hat. Es muss natürlich nicht jeder so halten. Aber hinschauen auf das, was Tieren angetan wird, um idiotische Billigpreise zu erzielen – hinschauen müssen Sie. Und Konsequenzen draus ziehen, das müssen Sie auch.

Nina Ruge